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MARTIN STRASSER

Inhaber eines Planungsbüros
Edition:
Traunstein 2010

 
   
   
   
   
   
     
     
     
   
 

Architektur Philosophie
Martin Straßer, Inhaber eines Planungsbüros, spricht hier über Traunstein aus Sicht eines Stadtplaners sowie über 
Erfahrungen und Visionen aus seinem Tätigkeitsbereich

 

Herr Straßer, wie sieht die Stadt der Zukunft aus? 
Bezogen auf Traunstein könnte die Zukunft so aussehen, dass wieder mehr „Wohnen in der Innenstadt“ stattfindet. Das hängt allerdings davon ab, dass sich die dafür notwendigen Bereiche attraktiv und vor allem als ruhige Wohnbereiche darstellen. Wichtig ist hier, dass die Gebäude über Aufzüge verfügen sowie zumindest über einen Autostellplatz und Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, Sportgeräte und ähnliches vorhanden sind, was ja in der Innenstadt aufgrund der alten Bausubstanz nicht immer einfach ist. Komplettieren dann noch Balkone, Terrassen oder sogar Dachterrassen mit Bergblick das Ensemble, dann ist hier attraktives Wohnen möglich. Wohnungen im unmittelbaren Stadtbereich bringen nicht nur Leben, sondern auch Kaufkraft - was unbedingt notwendig ist, um die Urbanität der Innenstadt weiter zu erhalten und auch auszubauen. 
Das Aufgabenfeld Ihrer Planungsgruppe? 
Das Tätigkeitsspektrum der Planungsgruppe Straßer und Partner umfasst Hochbau, Städtebau und Ortsplanung, Landschafts- und Umweltplanung, Tiefbau, Projektentwicklung, Kommunalberatung, Energieberatung, Generalplanung, Brandschutz, Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordination sowie Visualisierung. 
Wie viele Mitarbeiter gibt es? 
Derzeit beschäftigen wir über 35 Mitarbeiter, darüber hinaus stellen wir auch Ausbildungsplätze zur Verfügung und geben interessierten jungen Menschen die Möglichkeit, in unserem Hause Schnupperstunden oder auch ein Praktikum zu absolvieren.
Auf welches Ihrer Projekte sind Sie besonders stolz? 
Unter anderem auf unser Projekt „Stadtresidenz Höllbräu mit Stadtplatz-Passage“, welches sich wirklich als große Herausforderung darstellte, denn hier gab es fast alle denkbaren Probleme, vor allem auch aufgrund der exponierten Lage und weil wesentliche Teile der Gebäude unter Denkmalschutz standen. Nachdem wir uns entschlossen hatten, hier mit einem enormen Risiko selbst als Projektentwickler und Bauträger zu fungieren, hat mir das finanzielle Volumen, das es hier zu stemmen galt, in Höhe von 15,8 Millionen Euro, schon die eine oder andere schlaflose Nacht bereitet. Auch der damals extreme Winter hat für finanzielle Überraschungen gesorgt. Letzten Endes sind wir trotz aller Schwierigkeiten stolz auf die harmonische Verbesserung des Stadtbildes und natürlich unsere Leistung. 
Ihr Leitmotiv beim Planen, Bauen, Umbauen? 
Unser Leitmotiv ist immer mehr von dem Begriff „Energieeffizienz“ geprägt. Energieeinsparung und nachhaltend ökologische Konzepte stehen dabei im Vordergrund und gelten als große Herausforderung in allen Bereichen des Bauens. 
Gibt es Reaktionen auf den Klimawandel? 
Ja, die gibt es. Und zwar in der Form, dass immer mehr in die Gebäudesubstanz und speziell in die Gebäudetechnik investiert werden muss, um den CO2-Ausstoß so weit wie möglich zu reduzieren. Die Gebäude und deren Heizungen spielen dabei nur einen Teil der Rolle, auch der Straßenverkehr ist hier Thema. Somit kommt der Fachdisziplin Städtebau eine herausragende Bedeutung zu. Es gilt intelli­gente, städtebaulich integrierte Gesamtverkehrskonzepte zu entwickeln, die fließenden und ruhenden Verkehr, Radfahrer, Fußgänger und vor allem den zu stärkenden Personen-Nahverkehr berücksichtigen. 
Worin sehen Sie die künftige Herausforderung für Planer? 
Durch die allgemeine Globalisierung auch im Bereich des Bauens gibt es fast wöchentlich Veränderungen und Neuerungen im Bereich der EU-weit geltenden Gesetze und Vorschriften. Aber auch der Bund und das Land konfrontieren uns ständig mit Neuerungen im Baugesetzbuch, der Bayerischen Bauordnung und in unzähligen DIN- und sonstigen Vorschriften. Auch die reine Verwaltungsarbeit und das Vertragswesen hat in den letzten Jahren stark zugenommen und hält uns von unserer eigentlichen Arbeit ab. Das erfordert schon eine große Liebe zum Beruf.
Hat sich das Aufgabenfeld in den letzten Jahren verändert?
Speziell in unserem Fall hat es sich schon stark verändert. Unsere Auftraggeberstruktur besteht mittlerweile zu 85 Prozent aus Kommunalaufträgen, aktuell erhalten wir auch verstärkt große Aufträge von Gewerbe- und Industrieunternehmen aus unserer Region und dem Chemiedreieck. Stark zurückgegangen ist in den letzten zehn Jahren der Wohnungsbau im Bereich des Bauträgerwesens, zumindest in unserer Region. Nennenswerte Auftragseingänge sind bei Einfamilienhäusern zu verzeichnen, die sehr individuell geplant werden müssen oder einen hohen Anspruch an Architektur und Innenausbau haben. 
Für welche Person der Zeitgeschichte hätten Sie gern gebaut und was? 
Eine Person fällt mir da nicht ein, eher schon der Beitrag zu einem weltweit bekannten Event: Der deutsche Pavillon für die Weltausstellung würde mich reizen.
Wenn Sie Bauherr wären: Wie suchen Sie Ihren Architekten? 
Ich würde mich als erstes in der Region erkundigen, ob es einen Architekten gibt, der nachweislich ähnliche Projekte schon erfolgreich sowohl in der Planung als auch in der Umsetzung realisiert hat, bevor ich überregionale Recherchen anhand von Architektur- oder sonstigen Fachzeitschriften durchführen würde. Ich glaube, der regionale Bezug eines Architekten ist wichtig, um eine regionaltypische Bauweise auch unter dem Aspekt „modern, funktionell, energieeffizient und nachhaltig“ planen zu können und um eine intensiv betreute Umsetzung des geplanten Gebäudes zu gewährleisten. Ich würde mich auch bei den Bauherrn der Referenzobjekte des Architekten erkundigen, ob sie zufrieden waren - nicht nur mit dem Entwurf, sondern ebenso mit dessen Umsetzung sowie mit der Termin- und Kosteneinhaltung. 
Machen sich die Sparzwänge der Kommunen bemerkbar? 
Die werden wir ab 2012 zu spüren bekommen, erste Anzeichen sind bereits jetzt schon da. Dem gegenüber stehen allerdings zunehmend mehr Aufträge aus der Industrie, die in den letzten zwei Jahren einige ihrer Projekte aufgrund der Wirtschaftskrise auf Eis gelegt hatte. 
Wem gehört die Stadt? Investoren und Fondsgesellschaften kommen für ihre Bauprojekte leicht an Filetstücke im Stadtraum. Besteht hier nicht die Gefahr, dass kommerzielle Projekte die Bedürfnisse der Bürger nicht erfüllen? 
Würde ich mal nicht so sehen. Logischerweise ist klar, dass man Filetstücke, wie Sie es nennen, nur kaufen kann, wenn man das notwendige Kapital dazu hat. Dass die Investoren dann natürlich ihre Pläne umsetzen und realisieren wollen, ist auch völlig verständlich, denn wer ein Risiko eingeht und Geld investiert, hat natürlich auch gewisse Vorstellungen. Es ist aber auch so, dass nicht nur der Investor bestimmt was gebaut wird, schließlich bedarf es ja immer entsprechender Bebauungsplan-Genehmigungsverfahren, bei denen zum Teil bis zu 50 Träger öffentlicher Belange mitzureden haben. Das entscheidende Gremium ist letztendlich aber immer der Stadt- beziehungsweise Gemeinderat und die Baugenehmigungsbehörde. Gerade der Stadtrat hat die nicht immer ganz leichte Aufgabe des Abwägungsprozesses zu erfüllen, der ja auch nach dem Baugesetzbuch vorgeschrieben ist, um letztendlich im Sinne des Bürgers zu entscheiden. Insofern kann man schon davon ausgehen, dass dann auch Projekte zustande kommen, welche die Wünsche und Bedürfnisse des Investors berücksichtigen, aber natürlich und insbesondere auch die Interessen der Bevölkerung, welche ja bei diesen Planungsprozessen in vielfältiger Form beteiligt wird, widerspiegeln. 
Was müsste in Traunstein noch verbessert werden? 
Meiner Ansicht nach sollte man versuchen, den vorhandenen Leerstand bei Ladenflächen, der in manchen Straßenzügen leider anzutreffen ist, zu verringern. 
Nicht einfach in diesen Zeiten. Wie stellen Sie sich das vor? 
Der Einzelhandel verlangt beispielsweise oftmals größere Verkaufsflächen. Hier könnte man ansetzen und versuchen so genannte „Quartiersversammlungen“ ins Leben zu rufen. Das bedeutet, benachbarte Eigentümer kleinerer Objekte an einen Tisch zu setzen und zu überzeugen, ihre kleinteiligen Verkaufsflächen zu größeren zusammenzulegen, denn dafür besteht Bedarf. Dieser Gedankenansatz wäre vielleicht ein Thema für die Stadtmarketing Traunstein GmbH.
Bereuen Sie selbst eines Ihrer Bauvorhaben? 
Bereuen nicht direkt. Aber es gibt ein Gebäude, das zum Zeitpunkt seiner Errichtung dem Zeitgeist entsprach und sehr modern war. Hier hat sich für mich gezeigt, dass Bauen nur unter dem Aspekt des Zeitgeistes - damals Postmoderne - ein eher schlechter Ratgeber ist, um wirklich gute Architektur zu entwerfen.
Ein Wort zu den Handwerksbetrieben. Finden Sie hier die Kompetenz, die Sie zur Umsetzung Ihrer Ideen benötigen? 
Auf alle Fälle. Wir verfügen in Traunstein und in unserer Region über eine große Zahl an Handwerksbetrieben und Bauunternehmen, die absolut auf dem aktuellen Stand und dabei auch extrem schlagkräftig und sehr zuverlässig sind. 
Welches Projekt würden Sie gerne als nächstes in Angriff nehmen? 
Ich könnte mir gut vorstellen, ein größeres Hotel zu planen.
Dachte ich mir, Hotel klingt gut.
Egal, wo man dieses Projekt realisieren möchte: Es wird immer Probleme geben, es wird immer Menschen geben, die das befürworten oder auch ablehnen. Unabhängig davon steht für viele politische Entscheidungsträger sowie eine Menge anderer Fachleute fest, dass die Errichtung eines größeren Hotels in der Vier- oder Fünf-Sterne-Kategorie für die unbedingt notwendige Verbesserung und Sicherung des Tourismus in unserer Region unabdingbar ist.
Die Architektur hängt oft mit finanziellen und wirtschaftlichen Aspekten zusammen. Ärgert Sie das? 
Nein, ärgern nicht. Aber es ist schon so, dass man heute nicht mehr aus dem Vollen schöpfen kann, weil jedes Bauvorhaben budgetiert ist und der Bauherr bestimmte Vorstellungen hat. Was aber nicht heißen soll, dass man als Planer mit weniger Budget nicht trotzdem etwas Gutes auf die Beine stellen kann. Rückblickend sind es doch vor allem die einfachen und schlichten Gebäude, die von der Proportion her stimmen, deren regionale Materialien sich bewährten und die heute noch gut anzusehen sind. 
Welches war für Sie das spannendste Projekt Ihrer Karriere? 
Die Errichtung des Fachmarkt-Zentrums an der Südspange. Zunächst gab es hier enormen Widerstand seitens einiger Bürger, dann folgte das Ratsbegehren, das wir aber gottlob gewonnen haben. Wir waren von Anfang an überzeugt, mit dem Fachmarktzentrum an dieser Stelle etwas Positives für den Handel in Traunstein zu tun, was sich letztendlich auch bewahrheitet hat. Seit es dieses Objekt gibt, hat sich die Zentralitätsziffer und die Kaufkraftbindung nach den einschlägigen Statistiken deutlich erhöht, und es wurde mehr Kaufkraft aus dem Umland nach Traunstein geholt. Wir haben seinerzeit den Gebäudekomplex regelrecht eingegraben, also nicht einfach auf die Wiese gestellt. Jetzt gibt es dort die größte extensiv begrünte Dachfläche im ganzen Landkreis und die Anlieger sind heute sogar froh über diese Lösung, weil sie weniger Schallprobleme haben als vorher und der freie Blick in die Berge erhalten wurde. Im Übrigen haben wir im Rahmen dieses Bauvorhabens die generelle Voraussetzung für die Errichtung der jetzt fertig ­gestellten Verlängerung der Südspange zwischen Hochstraße und Axdorfer Straße mit den beiden Kreisverkehren geschaffen. Leider wird so etwas oft vergessen.
Auf was legen die Kunden heute besonders Wert? 
Was in den letzten zehn Jahren stark nachgefragt wurde, sowohl seitens kommunaler als insbesondere auch seitens gewerblicher und privater Auftraggeber, ist das so genannte „Rundumsorglospaket“. Alle Planungsleistungen, alle Architekten- und Ingenieurleistungen stammen aus einer Hand mit nur einem Ansprechpartner und nur einem Haftenden. Als so genannter Generalplaner wickeln wir bereits 85 Prozent unserer Aufträge in dieser Weise ab. Aus diesem Grunde haben wir vor zwei Jahren die Ingeneo-Gruppe gegründet. Darin vereinen sich bestehende namhafte Ingenieurbüros aus allen Fachsparten mit jetzt bereits rund 180 Mitarbeitern.
Ist Innenarchitektur in Ihrem Planungsbüro ein Thema? 
Ja, in unserem Hause sorgen zwei Innenarchitekten für die individuellen Kundenwünsche.
Wie gestalten Menschen, deren Beruf es ist, für Andere Raum zu schaffen, ihre eigenen Refugien? Wo und wie wohnen Sie? 
Ich wohne in einem sanierten Altbau in Ettendorf, den ich zehn Jahre lang Schritt für Schritt um- und ausgebaut und mit neuen Anbauten versehen habe. Der Umgang mit bestehender Bausubstanz ist und war für mich sehr reizvoll. Bei der Verwendung bestehender Bausubstanz gibt es bestimmte unveränderliche Vorgaben und Zwänge. Das war mein Glück, sonst würde ich heute noch Entwürfe für einen Neubau zeichnen, da ich mich zu nichts entscheiden könnte, da man ja gerade beim eigenen Haus alles verwirklichen möchte, was einen über die Jahre in seinem Beruf an Ideen und Erfahrungen begleitet hat. Und man hat einen sehr hohen Anspruch an Perfektion. Insofern ist man für sich selbst ein extrem unangenehmer Bauherr.
Was halten Sie von dem Begriff „Stararchitekt“? 
Es gibt sicherlich einige, die sich erstaunlich viel einfallen lassen und sich sehr innovativ in allen Bereichen des Bauens präsentieren. In der Regel steckt heute aber hinter einem Stararchitekten nicht nur ein einzelner Kopf, sondern die Kreativität einer geballten Mannschaft, bestehend aus aktiven jungen, aber auch erfahrenen Mitarbeitern. 
Bedienen Sie sich bei Ihrer Tätigkeit eines Netzwerks? 
Aber natürlich, ohne ein durchstrukturiertes Netzwerk in allen Bereichen geht es gar nicht.
Nachhaltigkeit ist das Schlagwort der Zeit. Wir bauen nachhaltig, wir kaufen nachhaltig ein. Was kann man als Planer an Nachhaltigkeit beisteuern?
Nachhaltiges Bauen heißt aus unserer Sicht in erster Linie energieeffizientes Bauen und behandelt natürlich auch den Aspekt des ökologischen Bauens. Das bezeichnen wir als nachhaltig, denn irgendwann wird jedes Gebäude wieder seinem Ursprung zugeführt - nämlich abgebrochen oder rückgebaut. Und genau dann ist es von großer Bedeutung, dass ökologische Materialien verwendet wurden.
Wie sehen die unerfüllten Träume des Martin Straßer aus?
Ein Jahr Urlaub machen. 
Gibt’s Heimwerker-Qualitäten?
Nur sehr bescheidene. 
Die letzte Frage: Was ist die große Herausforderung der Gegenwart? 
Das größte Problem unserer Zeit ist das globale Wachstum der Menschheit mit der zunehmenden Migration und Konzentration der Bevölkerung in Ballungsräumen mit allen einhergehenden Problemen im sozialen Bereich, der Versorgung der Bevölkerung vor allem mit den Grundbedürfnissen Wasser und Nahrung, der Entsorgung und der gesamten Infrastruktur sowie die noch immer stattfindende Energieverschwendung und Umweltverschmutzung. Gerade für uns als Planer, aber auch für jeden Einzelnen, gilt es in Zukunft verstärkt an der Lösung all dieser Probleme mitzuarbeiten. 
Herr Straßer, vielen Dank für das ausführliche Gespräch.

     
 © 2012 RALF HANSEN STADTBROSCHÜRENVERLAG