Kalender
Atom Uhr

RALF PETER

Direktor des Amtsgerichts Mühldorf
Edition: Mühldorf am Inn 2007

 
   
   
   
   
   
     
     
     
   
 

GERICHTSSTAND - Verleger Ralf Hansen unterhält sich hier mit Ralf Peter, dem Mann, der seine beruflichen Ambitionen in den Dienst der Justiz stellt und seit 2005 die Geschicke des Amtsgerichts Mühldorf leitet

 

Herr Peter, Gerichtsurteile ergehen im Namen des Volkes. Kann man davon ausgehen: wer Recht hat bekommt auch Recht, oder bekommt man nur ein Urteil nach Beweislast?

Man darf davon ausgehen, dass derjenige der Recht hat, auch vor Gericht Recht bekommt. Wobei es auch so ist, dass Gerichtsurteile, wenn sie in Rechtskraft erwachsen, auch Recht schaffen können. Das heißt: Selbst wenn beispielsweise aufgrund der Beweislage derjenige verurteilt werden sollte, der in Wahrheit nichts schuldet, dann erwächst das Urteil irgendwann in Rechtskraft und die neue Rechts- lage ist dann eben so, wie im Urteil festgestellt.

Gerade in den Medien ist die Berichterstattung über die Justiz immer noch von Pauschal- und Vorurteilen geprägt, obwohl sich deren Produkte durchaus sehen lassen können, vor allem im Aufgabenbereich der Amtsgerichte.

Naturgemäß wenden sich die Medien bei ihrer Berichterstattung den schlagzeilen- trächtigen Gerichtsthemen zu, und das sind in der Regel aufsehen erregende Strafprozesse. In deren Rahmen tritt die Justiz in der Tat als hoheitlich handelnde Autorität auf. Dieses Segment der Tätigkeit, gerade der Amtsgerichte, ist aber nur ein kleiner Ausschnitt aus der Gesamtpalette. Die moderne Justiz versteht sich nicht nur zunehmend als bürgerfreundliche Dienstleistungsfirma, sie bietet den Bürgern auch tatsächlich Dienstleistungen im eigentlichen Sinn an. Denken Sie zum Beispiel an die Grundbuchämter, die bei Grundstücksgeschäften tätig werden, an die Nachlassgerichte, die bei Erbfällen helfen, Familiengerichte, die nicht nur Scheidungen durchführen, sondern auch bei Fragen zum Versorgungsausgleich hilfreich zur Seite stehen, oder denken Sie an die Möglichkeit, Vergleiche zu schließen. Das alles sind Tätigkeiten, die sich dem Dienstleistungsbereich zu- ordnen lassen.

Wie sollte man vor Gericht auftreten, um seine Chancen nicht von vornherein zu verschlechtern?

Es ist schon so, dass die Richter, die meist erfahrene Rechtsfinder sind, im Um- gang mit allen Schichten der Bevölkerung bewandert sind und deswegen ihre Entscheidung nicht am Auftreten der Partei festmachen, sondern neutral und objektiv entscheiden.

Wie wichtig ist für Sie eine klare Sprache vor Gericht?

Je eindeutiger, knapper und verständlicher man seine Position vorträgt, um so einfacher fällt es dem Gericht, die richtige Entscheidung zu treffen.

Ist unser Rechtssystem nicht viel zu kompliziert?

Die Frage ist im Ansatz sehr berechtigt. Unser Staat ist ein sehr verrechtlicher Staat. Leider ist es so, dass der Gesetzgeber die Bürger und Gerichte mit einer Flut von Regelungen konfrontiert, woran aber nicht hauptsächlich der bundesdeu- tsche Gesetzgeber schuld ist, sondern ein ganz wesentlicher Teil den Aktivitäten der Europäischen Union zu verdanken ist. Und die Bundesrepublik ist verpflichtet, die von der EU erlassenen Normen umzusetzen und in nationales Recht umzu- wandeln. Meiner Ansicht nach wäre hier etwas mehr Sparsamkeit durchaus sinnvoll.

Gibt es zu viele Instanzwege?

Nein. Diskutiert wurde zwar schon einmal der Aufbau einer zweiinstanzlichen Justiz, ich meine aber, dass der bestehende Instanzenzug, der in der Regel drei Rechts- züge umfasst, durchaus angemessen ist. An der Basis das Amtsgericht als Aus- gangsgericht, dann die Möglichkeit der Überprüfung durch das Landgericht, das auch die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts nochmals prüft und gege- benenfalls Beweis aufnimmt, und dann als dritte Instanz das Oberlandesgericht. In Sonderfällen noch der Bundesgerichtshof, der dann eine reine Rechtsprüfung vornimmt. Diese Regelung scheint mir sachgerecht.

Was hat sich seit Ihrem Amtsantritt geändert?

Es ist schon so, dass ich von meinem Amtsvorgänger Dr. Hellenschmitt ein sehr gut aufgestelltes und eingerichtetes Haus übernehmen konnte. Was sich seitdem zum Besseren verändert hat, ist die Ausstattung des Gerichts mit modernster Computertechnologie. An jedem Arbeitsplatz stehen seit letztem Jahr ein internet- fähiger Computer sowie ein Drucker, was die Arbeit doch enorm erleichtert.

Thema Bürgernähe.

Das Amtsgericht Mühldorf war, wie die Bayerische Justiz überhaupt, in den letzten Jahren immer bemüht, Bürgern offen und transparent gegenüberzutreten. Wir versuchen den Bürgern die Scheu vor dem Gericht auch damit zu nehmen, in dem wir in unseren Räumen Foto- und Gemäldeausstellungen stattfinden lassen, einheimische Künstler einladen, hier Vernissagen durchzuführen. Und ich weiß auch, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer bemüht sind, den Bürgern offen, freundlich und - wo immer es geht - auch nicht autoritär gegen- überzutreten.

Ist Ihnen in Ihrem Berufsleben schon einmal ein Justizirrtum begegnet?

Es gibt immer Entscheidungen, über die man nach deren Erlass noch einmal nachdenkt und sich fragt, ob man denn wirklich richtig entschieden hat. Eine klare, ausgesprochene Fehlentscheidung wüsste ich mir aber jetzt nicht vorzuwerfen.

Viele Strafprozesse werden nicht mehr ausgefochten, sondern außerhalb der öffentlichen Hauptverhandlung ausgedealt: Ein Geständnis wird mit mildem Urteil belohnt.

Ich glaube, dass der von Ihnen angesprochene Deal im Strafverfahren im Grund- satz seine Berechtigung hat, weil er zu einem zügigen sowie in aller Regel auch gerechten Abschluss des Verfahrens führt und eine geringere Belastung der Ver- fahrensbeteiligten mit sich bringt. Ich meine aber, dass der Bundesgerichtshof und vielleicht auch der Gesetzgeber in der Zukunft noch gefordert sein werden, die Voraussetzungen und Grenzen solcher Deals näher zu definieren.

Die Staatsanwaltschaft ist als objektive Behörde gedacht, warum wird sie so selten von Amts wegen zugunsten des Verurteilten im Wiederaufnahmever- fahren tätig und überlässt das wenigen spezialisierten Rechtsanwälten?

Die Staatsanwaltschaft hat in Wiederaufnahmeverfahren wenig Möglichkeiten, von sich aus tätig zu werden, weil sie ja Kenntnis von Tatsachen erhalten muss, die ein solches Wiederaufnahmeverfahren in Gang setzen können. Der Staatsanwalt- schaft diese Kenntnisse zu vermitteln, ist aber in erster Linie Sache des Betroffe- nen, beziehungsweise seiner rechtskundigen Vertreter.

Warum steigt die Zahl der Gewaltdelikte?

Ich habe keine konkreten Zahlen zu dieser Behauptung, aber es mag durchaus sein, dass ein zunehmender Werteverfall, vor allem in jüngeren Kreisen der Bevölkerung, dazu beiträgt, sich nicht mehr mit gewaltfreien Mitteln auseinander- zusetzen, sondern Lösungen in Gewalt sucht, oft auch in Verbindung mit Alkohol und anderen Drogen. 

Da drängt sich die Frage auf: Hat sich das Jugendstrafrecht nicht bewährt?

Ich meine schon, dass es sich im Grundsatz bewährt hat, aber es werden immer mehr Stimmen laut die meinen, man müsse gerade im Bereich des Strafrechts für Heranwachsende, also für Personen zwischen 18 und 21 Jahren, eher das Erwach- senenstrafrecht anwenden, weil sich die Persönlichkeit und das Wesen dieser Gruppe von Menschen zunehmend hin zum Erwachsenen entwickelt, und nur das Allgemeine Strafrecht dieser Klientel und der von ihr begangenen Straftaten gerecht wird.

Nach Meinung von Bundes-innenminister Schäuble fördert die Reform des Zuwanderungsrechts die Integration in unserem Land.

Integration ist immer ein Prozess, der von beiden Seiten betrieben werden muss. Und da kann es nicht schädlich sein, wenn man von demjenigen, der integriert werden soll, auch fordert, selbst etwas dazu beizutragen. Zum Beispiel, in dem er entsprechende Sprachkurse absolviert und sich mit Kultur und Gebräuchen der Be- völkerung, der er zukünftig zugehören möchte, beschäftigt.

Ist langfristig damit zu rechnen, dass Mühldorf wie Wasserburg als Gerichts- standort abgeschafft wird?

Das halte ich nach meiner derzeitigen Kenntnislage für ausgeschlossen. Der Prozess, von dem Wasserburg betroffen ist, bezieht sich auf die Auflösung der amtsgerichtlichen Zweigstellen. Vergleichbare Bestrebungen mit dem Ziel, bestehende selbständige Amtsgerichte aufzulösen, sind mir nicht bekannt.

Wo sehen Sie Hauptschwierigkeiten bei der Justizmodernisierung?

Die Justizmodernisierung ist auf einem guten Weg, insbesondere was die Aus- stattung der Gerichte mit modernen Hochleistungsrechnern und der dazu gehörigen Software betrifft. Allerdings bedarf es bei einer Weiterführung der Modernisierung auch entsprechender finanzieller Mittel. Hier sehe ich allerdings ein Problem, weil natürlich auch die Justiz von den Sparmaßnahmen des Frei- staates betroffen ist.

Was sagt Ihr persönliches Rechtsempfinden zu einer Freilassung von Brigitte Mohnhaupt?

Das ist keine Frage meines persönlichen Rechtsempfindens. Frau Mohnhaupt ist aus dem Strafvollzug entlassen worden, nachdem sie die Mindestfreiheitsstrafe, die im Urteil festgesetzt worden war, verbüßt hat. Und ob nach dieser Zeit ein Gefangener auf freien Fuß gesetzt wird, damit er den noch offenen Rest seiner Freiheitsstrafe auf Bewährung leben kann, ist eine Frage, die nach eindeutigen rechtlichen Kriterien zu entscheiden ist. Wenn sich Gutachter dafür aussprechen, dass der Gefangene auf freien Fuß kommt und wenn ihm eine Einsicht in seine Straftaten und eine positive Sozialprognose attestiert wird, dann kann das Gericht letztlich nichts anderes tun, als diesem Gutachten zu folgen und eine Freilassung anzuordnen.

Die Antwort geht in Ordnung, sofern Sie den Gesetzen folgt. Aber mich interes- siert Ihr persönliches Rechtsempfinden, schließlich handelt es sich hier um eine vielfache Mörderin, die nach 25 Jahren auf freien Fuß gesetzt wird.

Sie interviewen mich jetzt als Richter, und ich bin ebenso wie das Gericht, das über den Fall Mohnhaupt entschieden hat, an Recht und Gesetz gebunden. Meine persönliche Meinung darf da keine Rolle spielen.

In den bayerischen Justizvollzugsanstalten sind 11.513 Haftplätze eingerichtet, davon 10.736 für Männer und 777 für Frauen. Sind Frauen intelligenter und lassen sich demzufolge seltener schnappen, oder sind Männer einfach krimineller ver- anlagt?

Es ist wohl in der Tat so, dass Frauen seltener verurteilt werden als Männer und ich meine, dass Frauen im Bereich der Schwerkriminalität, die dann auch zu Haftstra- fen führt, in der Tat weniger aktiv sind als Männer. Im Bereich der Kleinkrimina- lität hingegen denke ich, dass sich da die Geschlechter in ihrer Beteiligung an Straftaten doch in etwa die Waage halten.

Derzeit sind zirka 44 Prozent der in Bayern inhaftierten Untersuchungsgefange- nen ausländische Staatsbürger; ein vereintes Europa bringt also nicht nur Vor- teile.

Das vereinte Europa hat meiner Meinung nach keine großen Auswirkungen auf eine Steigerung der Gesamtkriminalität, das Problem hat sicher eher in die Aufklärung der Straftaten verlagert. Was früher möglicherweise bereits durch ein Abschöpfen der Täter an der Grenze seine Lösung gefunden hat, verlagert sich jetzt ins Inland. Wobei insoweit das Stichwort „Schleppnetzfahndung“ Bedeutung gewinnt.

Wird es in Bayern bald Mahnanträge über Internet geben?

Ich sehe diesen Weg derzeit noch nicht. Wir haben ja unser zentrales Mahngericht in Coburg, das hervorragend arbeitet. Mahnanträge über Internet wären vorstell- bar, wenn dafür die Sicherheitsvoraussetzungen geschaffen wären, doch sehe ich hier noch einigen Zeitbedarf.

Anwaltskanzleien gibt es mehr als genug und demzufolge herrscht hier ein reger Konkurrenzkampf. Dem erfolgreichen Absolventen einer juristischen Ausbildung stehen neben der Anwaltstätigkeit ja auch die „klassischen“ Berufe des Richters, Staatsanwalts, des höheren Verwaltungsbeamten und des Notars offen. Lockt die Anwälte einfach das Geld oder der Ruf nach Selbständigkeit.

Ich meine, dass der größte Teil der Anwälte aus Berufung Anwalt wird. Schon deswegen, weil dies ein freier Beruf ist und weil man dort, wenngleich auch hier der Zwang zur Spezialisierung zunimmt, sehr viele juristische Tätigkeitsfelder beackern kann.

Haben Sie irgendwann einmal selbst Lust verspürt, die Seite zu wechseln und sich als Anwalt niederzulassen?

Nein. Ich habe anlässlich eines Klassenbesuches bei einem niederbayerischen Amtsgericht seinerzeit einen sehr überzeugend arbeitenden und entscheidenden Richter erlebt und schon damals stand für mich fest, dass dies mein Berufswunsch sein würde. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Sie ziehen selbst noch die Richterrobe an, für welche Bereiche fällen Sie Urteile?

Ich habe an richterlicher Tätigkeit zum einen ein kleines Zivilrechtsreferat und zum anderen bearbeite ich sämtliche Insolvenzverfahren, die beim Amtsgericht Mühldorf anfallen.

Welches Aufgabengebiet umfasst Ihre Tätigkeit?

Als Amtsgerichtsdirektor bin ich der Leiter der Verwaltung des Gerichts. Die eigen- tliche Aufgabe dieser Verwaltung und damit auch ihres Direktors ist es, die Rechts- findung und die Rechtsanwendung zu unterstützen. Das heißt, die bestmöglichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass dieser Prozess der Rechtsfindung und Rechtsgestaltung optimal funktioniert.

Ein paar Karrieredaten. Wann und wo haben Sie begonnen?

Ich bin in Zwiesel im Bayerischen Wald geboren. Das Studium der Rechtswissen- schaft und der Romanistik habe ich in Regensburg betrieben, danach war ich als Rechtsreferendar in Passau. Dort bin ich dann auch in den Justizdienst eingetreten und war einige Jahre als Staatsanwalt tätig. Anschließend war ich für mehrere Jahre beim Bundesverfassungsgericht als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäf- tigt, bevor ich als Zivilrichter wieder nach Passau zurückkehrte. Im Anschluss daran war ich als hauptamtlicher Leiter von Arbeitsgemeinschaften für Rechtsrefe- rendare zuständig und somit auch 13 Jahre lang dem Richterdienst entzogen und als Lehrer tätig - zunächst am Landgericht Passau, später dann außerdem noch am Landgericht Landshut. Seit Mitte des Jahres 2005 bin ich nun Direktor des Amtsgerichts Mühldorf.

Bleibt Ihnen noch genügend Zeit für ein Privatleben?

Oh ja. Wer ausschließlich in der beruflichen Tätigkeit aufgeht, läuft Gefahr, den Blick für die Lebenswirklichkeit zu verlieren. So nehme ich mir Zeit, meine „neue Heimat“ mit dem Motorrad zu erkunden, Bücher zu lesen und soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen.

Hand aufs Herz, Herr Peter, wie viele Punkte haben Sie derzeit in Flensburg?

Meines Wissens hatte und habe ich keinen Punkt in Flensburg, worauf ich relativ stolz bin.

Pläne für die Zukunft?

Konkrete Pläne für die Zukunft gibt es, was Änderungen anbelangt, nicht. Ich bin sehr froh, hier in Mühldorf Amtsgerichtsdirektor zu sein und genieße diese ab- wechslungsreiche Tätigkeit.

Haben Sie noch einen ganz persönlichen Traum?

Da gibt es mehrere Träume. Einer davon ist, mit meiner Frau im Sommer eine Motorradtour durch Österreich, die Schweiz und Frankreich zu unternehmen, ein weiterer wäre, die Gegend hier um Mühldorf zu erwandern.

Herr Peter, besten Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg.

     
 © 2012 RALF HANSEN STADTBROSCHÜRENVERLAG