Prof. Dr. R. T. Grundmann ist Vorstand der Kreiskliniken Altötting und Burghausen. In diesem Interview
beantwortet er Fragen zu ökonomischen Zwängen, zum neuen Dienstleistungsangebot und zur Gesundheitsreform. Seit Januar 2003 leitet Prof. Dr. R. T. Grundmann die Kreiskliniken
Altötting- Burghausen. Angesichts der allgemein immer knapper werdenden Geldmittel sowie den ständig wechselnden Gesetzesvorschriften im Gesundheitswesen sicherlich kein leichter Job. Verleger Ralf Hansen besuchte den emsigen Klinikvorstand und führte mit ihm ein ausgiebiges
Gespräch.
Prof. Grundmann, Sie sind Vorstand und Ärztlicher Direktor der
Kreiskliniken Altötting-Burghausen, leiten somit dieses Kommunalunternehmen. Definieren Sie mir Ihr Tätigkeitsfeld?
Zu meinen Aufgaben gehört in erster Linie die Leitung des Kommunalunternehmens insgesamt. Bei meiner Arbeit werde ich von einem Direktorium unterstützt,
letzt- endlich aber zeichne ich hauptverantwortlich für alle Entscheidungen und bin nur dem Verwaltungsrat, mit Landrat Erwin Schneider als Vorsitzenden an seiner Spitze, unterstellt.
Welche Maßnahmen wurden seit Beginn Ihrer Tätigkeit durchgeführt?
Sie bringen es auf den Punkt, als Vorstand habe ich nicht nur die Aufgabe, das Unternehmen zu leiten. In einer schwierigen Umstrukturierungsphase, die auch bedingt ist durch die veränderte Krankenhauslandschaft, gibt es mehr zu tun als die tägliche Routinearbeit. Als Vorstand habe ich auch dafür Sorge zu tragen, das Unternehmen im Rahmen der neuen Gesetzgebung umzustrukturieren und dazu entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Neue Abteilungen müssen integriert und das bestehende Dienstleistungsangebot erweitert werden. Aber auch die ständig wechselnde Gesetzgebung mit immer neuen Sparmaßnahmen bereitet
Kopfzerbrechen. Von den Krankenkassen erhalten wir schon lange nicht mehr unsere
Ausgaben in der Weise ersetzt, wie dies notwendig wäre. Sie wissen selbst,
dass in den letzten zehn Jahren alles sehr viel teurer geworden ist und
dass eine gute Ware oder eine gute Dienstleistung eben ihren Preis haben.
Dass diese Tatsache aber nicht für ein Krankenhaus gilt, mag der Laie häufig nicht verstehen. Die Leistungen sollen ständig verbessert werden, die Kosten dafür aber immer
gleich bleiben. Zukünftig sollen unsere Patienten laut Gesetz sogar noch schneller behandelt werden, bei gleich guter Qualität.
Ist das überhaupt möglich?
Mein Lieblingsthema. Die neue Gesetzgebung schreibt uns vor,
dass die Anzahl unserer Krankenhausbetten um 30 Prozent reduziert werden müssen, gleichzeitig sollen wir die Qualität verbessern. Das betrifft sämtliche Krankenhäuser in
Deutschland. Aus meiner Sicht ist diese Vorgabe eine große Täuschung des Patienten. Das
muss man so klar sagen, denn gerade ältere Patienten konnten sich früher im Krankenhaus noch einige Tage erholen, bevor sie nach Hause entlassen wurden. Heute wird der Patient sehr viel früher entlassen, da uns die Kosten dafür nicht bezahlt werden.
Er muss schneller entlassen werden, weil in Zukunft ja auch weniger
Krankenhausbetten zur Verfügung stehen?
Richtig, und auf die warten ja bereits neue Patienten. Mittlerweile gibt es für diese Tatsache sogar ein Schlagwort. Wir nennen das die
so genannte »Blutige
Entlassung«. Dass dies mit Qualität wenig zu tun hat, versteht sich von selbst, es bedeutet nur eine Verlagerung der Kosten vom Krankenhausbereich in den ambulanten Sektor. Die Arbeit unserer Pflegekräfte soll zukünftig eingespart und von den
An- gehörigen übernommen werden. Wie gesagt, für mich eine Augenwischerei.
Das deutsche Gesundheitswesen kränkelt, welche Probleme beschäftigen Sie?
Mich beschäftigt am meisten der Widerspruch, der derzeit mit den Fallpauschalen gegeben wird. Es wird behauptet, die Fallpauschalen seien ein sehr gerechtes System, denn jeder erhält nun für die gleiche Leistung das gleiche Geld. Jedenfalls behaupten dies diejenigen, die diese Fallpauschalen initiiert haben und jetzt
ver- markten. Das ist aber eben nicht der Fall und somit mein Hauptproblem. Im
Moment erhalten wir zum Beispiel hier im Landkreis Altötting sehr viel weniger Geld für den gleichen Fall, als andere Kliniken zum Beispiel in Hamburg oder Berlin. Das heißt, es gibt sogar ein Nord-Süd-Gefälle, es gibt sogar ein Gefälle von Land zu
Stadt.
Wie sehen Sie die Zukunft im bundesdeutschen Gesundheitswesen?
Ich kann nur hoffen, dass das was angekündigt wurde, auch umgesetzt wird.
Dass tatsächlich auf Dauer die Fallpauschalen für alle Häuser gleich werden. Dann hätten wir sogar eine sehr rosige Zukunft in unseren Kreiskliniken zu erwarten, denn unser derzeitiges Defizit würde entfallen.
Ihre Aufgabe als Vorstand ist es, das Haus wirtschaftlich zu führen. Wo sparen Sie in Zeiten wie diesen denn nun ein?
Wir sparen vor allen Dingen dadurch, dass
wir die Abläufe so weit wie möglich straffen und die Prozessqualität
erhöhen. Wir sparen aber auch bei den Ausgaben, in dem wir uns beispielsweise mit anderen zu Einkaufsgemeinschaften
zusammen- schließen. Mit Sparen allein ist es aber nicht getan, wie jedes andere innovative Unternehmen müssen auch wir uns nach neuen Ideen für das Leistungsangebot
umsehen.
Welche Leistungen können Sie unter den Bedingungen des gedeckelten Budgets denn überhaupt noch neu einbringen?
Wir haben darüber lange nachgedacht und in den letzten eineinhalb Jahren sehr viel verändert. Zunächst haben wir dafür gesorgt,
dass nicht alle Leistungen in Altötting und Burghausen doppelt gefahren werden, dadurch erhielten wir freie Kapazitäten für andere Dinge. Die Chirurgie wurde neu strukturiert, wir haben in Altötting jetzt eine Viszeralchirurgie und zusätzlich eine selbständige Abteilung für Unfallchirurgie geschaffen, die auch die
Weiterbildungsermächtigung für Assistenten in der Unfallchirurgie erhalten hat. Damit haben wir neue Schwerpunkte. Umgekehrt haben wir in der Chirurgie in Burghausen Leistungen, die auch in Altötting erbracht werden, abgebaut und konzentrieren uns dort auf die Basisversorgung der Patienten und auf die ambulante Chirurgie. Aufgrund dieser Umstrukturierung konnten wir die
Abteilung Geriatrische Rehabilitation weiter ausbauen. Früher gab es dort nur 20 Betten, mittlerweile sind es jetzt 40 und somit ein weiterer Schwerpunkt der Kreisklinik Burghausen. Mit der Geriatrischen Rehabilitation sind wir in ein Feld gegangen, das sehr viel Zukunft hat. Die Menschen werden immer älter, die Lebenserwartung steigt und so dürfen wir davon ausgehen,
dass es in zehn oder 20 Jahren sehr viel mehr alte Patienten geben wird als heute. Und da gerade alte Patienten häufig auch an Schlaganfällen leiden, habe ich noch eine zweite Vernetzung im Auge gehabt, die Neurologie. In Burghausen wurde deshalb die Innere Abteilung durch einen Neurologen verstärkt. Neben der Behandlung des gesamten Spektrums
neurologischer Erkrankungen soll insbesondere durch die Schaffung einer spezialisierten Schlaganfall-Gruppe die Versorgung von Schlaganfallpatienten im gesamten
Land- kreis ausgebaut und optimiert
werden.
»Integrierte Versorgung«, was versprechen Sie sich davon?
Im Moment gibt es dazu noch keine Vorzeigeprojekte, sie werden alle erst
beantragt. Die Theorie ist verlockend, besagt sie ja, dass in Zukunft stationäre und ambulante Behandlung besser miteinander vernetzt werden und dadurch
Doppeluntersuchungen und Doppelbehandlungen gestrichen
werden.
Im Gespräch ist eine elektronische Chipkarte, bekommen wir den
gläsernen Patienten?
Ich hätte damit kein Problem, und in Anbetracht der damit verbundenen Vorteile, die meisten der Patienten wohl auch nicht.
Mit welchen Fragen wenden sich Ihre Mitarbeiter an Sie?
Das Spektrum der Fragen ist sehr umfangreich. Die Chefärzte interessieren sich für ihren Etat, andere Gruppen für ihre Stellenpläne, wieder andere sorgen sich um die Erhaltung ihres
Arbeitsplatzes.
Stichwort Arbeitsplatz. Das Krankenhaus ist ein bedeutender Arbeitgeber für die Städte Altötting und Burghausen. Wie viele Mitarbeiter
beschäftigen Sie in beiden Häusern insgesamt?
In beiden Kliniken sind insgesamt 1470 Mitarbeiter beschäftigt. Und wie sie schon richtig sagen, sind wir damit auch ein bedeutender Arbeitgeber für die gesamte Region, insbesondere bieten wir auch sehr viele Arbeitsplätze für Frauen.
Wodurch ist der medizinische Versorgungsauftrag der Kliniken besonders geprägt?
Wir stellen vor allem die Basisversorgung der Bevölkerung im Landkreis Altötting sicher. Das heißt, alle häufig anfallenden Versorgungsleistungen können hier
er- bracht werden, und nur in ganz seltenen Fällen muss der Patient damit rechnen, auch einmal in ein spezielles Zentrum überwiesen zu werden.
Ist Ihnen die Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Einrichtungen wichtig?
Die Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Einrichtungen ergibt sich für eine Klinik, die selbst alles hat, nur im beschränkten Umfang. Sie würde sich zukünftig erst dann ergeben und schlagartig zu einem Hauptthema werden, wenn
landkreis- übergreifend verschiedene Therapien zusammengeführt würden. Ich selbst habe dies öfters in Podiumdiskussionen als wünschenswert für die Zukunft angegeben, nur die politischen Rahmenbedingungen sind im Moment noch so,
dass landkreis- übergreifend kommunale Häuser keine gemeinsame Planung machen. Für die Zukunft ist das wünschenswert.
Mit Ihrem medizinischen Dienstleistungsangebot stehen Sie auch in
direkter Konkurrenz zu den hier niedergelassenen Ärzten. Wie gehen Sie damit um?
Mit den niedergelassenen Ärzten gab es bisher keine, in Zukunft aber sicher
Konkurrenzsituationen. Und zwar ab dem Moment, wo der Gesetzgeber dem
Krankenhaus auch zunehmend ambulante Therapien vorschreibt. Ich sehe das aber nicht so problematisch, weil ich davon ausgehe,
dass man sich, vorausgesetzt man
arbeitet mit integrierten Netzen, zusammensetzt und das ganze
abstimmt.
Bereits im Oktober 2000 hat der Europäische Gerichtshof entschieden,
dass der Bereitschaftsdienst von Krankenhausärzten in Form persönlicher Anwesenheit im vollen Umfang als Arbeitszeit angesehen werden
muss. Wurde dieser Entscheidung in Ihren Häusern bereits Rechnung getragen?
Wir haben das Arbeitszeitgesetz, so wie es jetzt in Deutschland vorgeschrieben ist, Zug um Zug umgesetzt. Obwohl wir hier noch eine zweijährige Übergangszeit
haben, gibt es schon heute ganz klare Regelungen, wie lange jemand arbeiten darf und wann wer Freizeit nehmen
muss. Wir machen aber keinen vorauseilenden Gehorsam zu dem, was in Zukunft vielleicht auf uns zukommt. Die Ursache dafür ist ganz einfach und sie wird auch auf allen chirurgischen Tagungen in gleicher Weise diskutiert: Setzt man alle Regelungen sofort komplett um, dann werden die
Kollegen weniger verdienen.
An der Kreisklinik Burghausen bieten Sie jetzt auch Ästhetisch-Plastische Chirurgie an?
Das ist richtig. Mit PD Dr. med. Thomas M.
Hernández-Richter, einem Facharzt für Plastische Chirurgie, decken wir in Burghausen dieses Spektrum ab. Zu seinem Tätigkeitsbereich
gehören die Ästhetische Gesichtschirurgie, die Brustchirurgie, Liposuction an Bauch, Beinen, Gesäß und Armen, die rekonstruktive Chirurgie, Anti-Aging-Beratung und sogar Kosmetikbehandlungen. Zukünftig werden wir aber auch Bandscheibenoperationen durchführen können. Zu diesem Zweck haben wir uns mit in München niedergelassenen Neurochirurgen darauf geeinigt,
dass diese einmal in der Woche bei uns Bandscheibenoperationen vornehmen werden. Bei den beiden Konsiliarärzten handelt es sich um ausgewiesene neurochirurgische Spezialisten, die diesen Eingriff bereits rund 20.000 mal durchgeführt haben. Wir sind uns sicher,
dass wir auf diese Weise das Behandlungsspektrum im Landkreis weiter stärken werden.
Gestatten Sie mir dazu eine kritische Frage. Wenn diese Spezialisten in München tätig sind und nur für einen Tag nach Burghausen
beziehungs- weise nach Altötting kommen, wie agieren diese dann bei eventuell
auf- tauchenden Problemen und Nachbehandlungen?
Dies wäre ein Problem, wenn es sich um Eingriffe handeln würde, die langfristige Nachbehandlungen voraussetzen. Wir konzentrieren uns aber auf Eingriffe, die in Großstädten zum Teil sogar schon kurzstationär durchgeführt werden. Die
Kollegen sind für eventuelle Nachbehandlungen zunächst einmal pro Woche einen Tag im Haus. Sollten Patienten tatsächlich mehrere Tage nachbehandelt werden, so werden sie in der chirurgischen Abteilung überwacht, zur Nachbehandlung stehen weitere chirurgische Fachärzte zur Verfügung. Des weiteren halten wir für die Bandscheibenoperationen sogar einen Neurologen im Haus
vor.
Wodurch ist Ihr typischer Tagesablauf geprägt?
Einen typischen Tagesablauf gibt es bei mir nicht, jeder Tag sieht anders aus.
Oftmals ist er aber von Konferenzen, Einzelbesprechungen und Sitzungen geprägt. Wenigstens einmal in der Woche führen wir eine Chefarztbesprechung sowohl in Altötting als auch in Burghausen durch - das gleiche gilt für die Direktoriumssitzung und Abstimmungen mit der Pflegedienstleitung und dem
Qualitätsmanagement. Alle anderen Fragen, die sich aus diesen Sitzungen ergeben, werden später in kleinen Gruppen über die Woche hinweg verteilt
abgearbeitet.
Ein kurzer Überblick auf Ihren persönlichen Lebenslauf.
Mein Staatsexamen und die Dissertation habe ich in München absolviert. Dort habe ich dann auch die ersten Jahre als Assistenzarzt an der chirurgischen
Universitätsklinik verbracht, und zwar bei Prof. Zenker, einem der berühmtesten Chirurgen Deutschlands. Ich bin dann mit seinem ersten Oberarzt, Prof.
Pichlmaier, nach Köln gegangen, habe dort die Qualifikation zum Facharzt für Chirurgie
erworben, später den Facharzt für Unfallchirurgie sowie den für Gefäßchirurgie und die Habilitation. Danach war ich zehn Jahre Oberarzt an der Universitätsklinik
Köln/Lindenthal, davon vier Jahre erster Oberarzt. Anschließend war ich 14 Jahre Leiter der medizinischen Wissenschaft d. B. Braun-Melsungen AG. Heute bin ich neben meiner Tätigkeit hier auch noch Schriftleiter des Zentralblattes für Chirurgie und Herausgeber des Jahrbuches für Chirurgie.
Warum gibt es trotz Ihrer Ausbildung und Ihrer Qualifikation gegen Ihre Vorschläge so häufig
Widersprüche?
Sie haben mit Recht gesagt, dass es Widersprüche gibt. Diese Widersprüche
be- ziehen sich darauf, dass ein Fachmann oftmals nur die Ökonomie sehen darf.
Sicherlich muss er auch die
medizinische Qualifikation sehen, aber seine Vorschläge sollte er nicht unbedingt unter politischer Rücksichtnahme formulieren, sondern zunächst das aus seinem Sinne bestmögliche vorschlagen.
Dass das nicht immer deckungsgleich ist mit dem, was politisch durchsetzbar ist, versteht sich doch von selbst, oder? Allerdings, wenn ich meine Vorschläge hier im Direktorium und in den Chefarztbesprechungen diskutiere, dann sind wir uns alle immer einig und die Abstimmungen sind meistens ohne Gegenstimme.
Was tun Sie selbst für Ihre Gesundheit?
In der wenigen Zeit die mir persönlich bleibt, fahre ich gerne mit dem
Mountainbike. Ansonsten halte ich mich an die Weisheit »mens sana in corpore
sano«. Ich bleibe auch mental fit, weil ich mich wenigstens am Wochenende für zwei, drei Stunden in meine Bibliothek zurückziehe.
Prof. Grundmann, besten Dank für das interessante und
aufschlussreiche Gespräch.
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