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DR. HANS HEISS 

Familienrichter
Edition: Alt/Neuötting 2002

   
   
   
   
   
     
     
     
   
 

Ein Familiengericht ist eine öffentliche Institution, die Streitigkeiten innerhalb der Ehe schlichtet und in letzter Instanz auch die Scheidung einer Ehe festlegt. Jedes Amtsgericht führt eine solche Einrichtung und auch in Altötting gibt es den Familienrichter, der im Namen des Volkes Urteile ausspricht. Verleger Ralf Hansen unterhält sich hier mit Dr. Hans Heiß, der mehr als 25 Jahre in diesem Metier tätig ist und bereits über 30 Fachbücher zum Thema Familienrecht veröffentlich hat.

Der Himmel hängt voller Geigen wenn sich zwei Menschen finden und beschließen, das Leben gemeinsam zu meistern. Doch immer häufiger und oftmals schon nach kurzer Zeit ist man der Meinung, sich auseinander gelebt zu haben und beschließt ein offizielles Aus. Dann ist der Weg zum Scheidungsrichter unausweichlich und der Rosenkrieg beginnt. Urteile in derartigen Fällen spricht in Altötting der Familienrichter Dr. Hans Heiß.

 

Dr. Heiß, als Familienrichter werden Sie sich selbst schon einmal die Frage gestellt haben: Ist die Ehe von gestern tot, gelten heute andere Werte?

Nein. Sonst wäre es nicht erforderlich geworden, auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften ein eheähnliches Institut zu schaffen. Allerdings wird die Ehe immer häufiger als Ehe auf Zeit verstanden, als Lebensabschnitts-Partnerschaft. 

Was glauben Sie ist der Grund dafür, dass die Scheidungsrate in der Bundesrepublik so hoch ist?

Trotz aller Aufklärung wissen viele Männer zu wenig über die wahren Bedürfnisse der Frau. Es fehlt häufig an offenen Gesprächen, um mit einem weit verbreiteten, grundlegenden Missverständnis aufzuräumen. Das erklärt die überraschend hohe Zahl der so genannten Kuckuckskinder und die Erkenntnisse der Statistiker, dass erheblich mehr Frauen heimlich fremdgehen. Erfüllt ein Partner nicht oder nicht mehr die in ihn gesetzten Erwartungen, neigt man heute immer schneller dazu ihn auszuwechseln. Auch, dass Frauen aufgrund eigener Berufsausbildung finanziell häufig nicht mehr vom Mann abhängig sind, führt wohl zu einer höheren Bereitschaft sich scheiden zu lassen, wenn man sich in einer Partnerschaft nicht mehr wohl fühlt. Generell scheint die Kompromissbereitschaft zu sinken. Wenn es Probleme gibt, trennt man sich. 

Eine Scheidung ohne Fehler kann es meiner Meinung nach nicht geben, weil das Scheidungsrecht »fehlerhaft« ist. Wer kann denn schon verstehen, dass derjenige Partner, der mittels eines Fehltritts die Ehe kündigt, nach deutschem Recht weiterhin einen Unterhaltsanspruch haben kann, ja sogar den Lebensstandard der Ehe garantiert bekommt? Es entspricht nicht den Werten und Normen der gegenwärtigen Erlebnisgesellschaft, wenn das Unterhaltsrecht zur langjährigen Hängematte genutzt werden kann. Ist hier nicht ein Paradigmenwechsel im Unterhaltsrecht angesagt.

Solange Frauen durch Kindererziehung und Haushaltsführung berufliche Nachteile haben, scheint ein solcher Paradigmenwechsel nicht machbar zu sein. Das Gesetz gibt durchaus die Möglichkeit bei einem schwerwiegenden Fehlverhalten, den Unterhalt herabzusetzen oder zu versagen. Allerdings müssen dabei die Interessen gemeinsamer Kinder gewahrt werden. Die Betreuung von Kleinkindern darf nicht dadurch gefährdet werden, dass der Mutter, die einen Fehltritt begangen hat, der Unterhalt versagt wird. 

Manche Männer müssen ihrer Ex-Frau so viel Geld zahlen, dass sie es sich kaum leisten können, noch einmal eine Familie zu gründen. Bedenkt das Gericht auch die Zukunftsaussichten einer neuen Partnerschaft?

Die neue Partnerin kann und muss sich von Anfang an darauf einstellen, dass ihr Mann mit dem »Mangel« der bestehenden Unterhaltsverpflichtung behaftet ist. Bei einer langen Ehedauer und wenn minderjährige Kinder vorhanden sind, können die Zukunftsaussichten einer neuen Partnerschaft nicht mit berücksichtigt werden. Die erste Ehefrau ist unter diesen Umständen vorrangig.

In einigen europäischen Ländern setzt sich der Trend durch, Unterhaltszahlungen zeitlich zu befristen. Können Sie sich für Deutschland eine ähnliche Entwicklung vorstellen?

Die zeitliche Befristung von Unterhaltsverpflichtungen setzt sich nach der neuesten Rechtsprechung auch in Deutschland durch. Allerdings nicht für Ehen, die länger als 20 Jahre gedauert haben.

Das sehe ich ein, da in der Regel die Ehefrau ihrem Mann den Vortritt bei der beruflichen Karriere gegeben hat und sie es sicherlich schwer haben wird, dann noch beruflich Anschluss zu finden. Sehen Sie weiteren Reformbedarf im Scheidungsrecht?

Größere Reformen erscheinen mir bei richtiger Anwendung der bestehenden Gesetze nicht erforderlich. Wichtiger wäre, dass sich junge Eheleute bereits bei Eheschließung über die Konsequenzen der von ihnen gewählten Rollenverteilung bei einer etwaigen Scheidung bewusst sind. 

Würden Sie dafür plädieren, Gerichtsverhandlungen wie in Amerika per Fernsehkamera direkt zu übertragen? Die Sitzungen sind sowieso zumeist öffentlich und ein spezieller Justizkanal würde sicherlich eine hohe Zuschauerquote erreichen?

Verhandlungen vor dem Familiengericht sind aus guten Gründen ganz überwiegend nicht öffentlich. Wir sind nicht mehr im Zeitalter des alten Rom, in dem man sich an dem Leid anderer ergötzt und geweidet hat.

Die meisten Paare wünschen sich eine schnelle, unkomplizierte und faire Scheidung, was sicher auch in Ihrem Sinne ist.

Die durchschnittliche Dauer eines Scheidungsverfahrens liegt bei mir unter sechs Monaten.

Scheitern viele deshalb, weil sie die richtigen Strategien nicht erkennen?

Großartige Strategien verkomplizieren das Verfahren, verlängern die Dauer des Verfahrens und kosten die Beteiligten un-nötig Kraft und Geld. Für eine unkomplizierte, faire und schnelle Scheidung bedarf es keiner Strategien, sondern ganz einfach den richtigen Vortrag der wesentlichen Fakten, so dass dem Richter eine richtige und möglichst gerechte Entscheidung ermöglicht wird.

Sind sich Mann und Frau in allen Punkten einig, würde es ausreichen, wenn nur einer von beiden einen Rechtsbeistand beauftragt.

Das ist grundsätzlich richtig. Setzt aber voraus, dass Unterhalt und vermögensrechtliche Ansprüche zuvor durch notariellen Vertrag geregelt worden sind. Ist man sich aber nicht wirklich einig, dann sollte sich jeder Ehepartner einen eigenen Anwalt nehmen.

Die häufigste Frage, die man sich im Falle einer bevorstehenden Trennung und der Suche nach einem Rechtsanwalt stellt ist wohl die: Wer ist der Beste.

Derjenige, der in der Lage ist, dem Gericht die wesentlichen Fakten vorzutragen, unnötige Emotionen zu vermeiden und aufgrund seiner speziellen familienrechtlichen Fachkenntnisse die Parteien zu einer vergleichsweise Lösung zu führen.

Anwälte haben den Auftrag, Scheidungen schnell und fair durchzuziehen, damit die Beteiligten das Kapitel beenden und den Blick in die Zukunft richten können. Haben Sie den Eindruck, dass die Mehrzahl der Anwälte in diesem Sinne tätig ist, oder merkt man als Richter, wenn es einigen nur darum geht, die eigenen Honorare zu erhöhen?

Einige wenige »schwarze Schafe« gibt es tatsächlich. Diesen geht es aber nicht nur um die höheren Honorare, sondern ihnen fehlt häufig das erforderliche Rückgrat und das nötige Fachwissen, um hinter einer vergleichsweisen Lösung stehen zu können. Die Folge sind dann sich ewig hinziehende Prozesse.

Wobei sich manche Rosenkriege sogar über Jahre hinwegziehen.

Das muss absolut nicht sein. Auch schwierigste Sachverhalte lassen sich in angemessener Zeit lösen, wenn die beteiligten Anwälte den Prozess gut vorbereiten und die wesentlichen Fakten geordnet vortragen. Den Parteien muss in diesen Fällen klargemacht werden, dass es wichtiger ist in die Zukunft zu schauen, als sich wechselseitig für vergangenes Unrecht zu rächen.

Welche Frage wird Ihnen als Richter am häufigsten gestellt?

Die Fragen stelle ich.

Definieren Sie bitte den Begriff »Blitzscheidung«?

Ist es für einen Partner unzumutbar, noch länger verheiratet zu sein, kann bereits vor Ablauf des Trennungsjahres die Scheidung beantragt und ausgesprochen werden. Das ist vor allem dann der Fall, wenn ein Partner ein länger andauerndes ehebrecherisches Verhältnis unterhält oder gewalttätig ist oder wenn infolge fortdauernden übermäßigen Alkoholgenusses und infolge der damit verbundenen Ausschreitungen ein Zusammenleben unerträglich ist.

Was mögen Sie so gar nicht in einem Eherechtstreit?

Unsachlichkeit. Mangelnde Vergleichsbereitschaft. Vor allem aber, wenn mir das für die Entscheidung erforderliche Einkommen und Vermögen nicht geordnet vorgetragen wird.

Im Vorfeld bereits ausgekundschaftet, sollen Sie ein erbitterter Gegner von Machtspielen sein, die sich auf das Umgangsrecht gemeinsamer Kinder beziehen.

Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Ehekonflikte auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Dadurch entstehen bleibende Schäden bei den Kindern. Ein umfangreiches Umgangsrecht ist in den allermeisten Fällen unabdingbar, um die durch das Scheitern der Ehe entstehenden Schäden bei den Kindern abzumildern. 

Sie regeln nicht nur die Unterhaltszahlungen, sondern auch wer was bekommt, beispielsweise das Sorgerecht.

Grundsätzlich verbleibt es auch nach der Scheidung beim gemeinsamen Sorgerecht. Ausnahmen sind nur in ganz schwerwiegenden Fällen möglich, wenn ein Elternteil zum Beispiel sich durch Gewalttätigkeit oder sexuellen Missbrauch oder durch völlige Kompromisslosigkeit in Erziehungsfragen als erziehungsungeeignet erweist. Besonders wichtig ist es in diesen Fällen, dass vom Gericht der Wahrheitsgehalt der erhobenen Vorwürfe festgestellt wird. 

Thema »Gemeinsame Konten«. Wer haftet während eines Scheidungsverfahrens für eine Überziehung?

Bis zur Trennung der Konten haften unabhängig vom laufenden Scheidungsverfahren beide Ehepartner als Gesamtschuldner. Intern besteht aber eine Ausgleichsverpflichtung durch den Abhebenden.

Was tun, wenn man sich keinen Anwalt leisten kann?

In diesem Fall kann Prozesskostenhilfe beantragt werden. Dann übernimmt der Staat sowohl Anwalts- als auch Gerichts- und Sachverständigenkosten. Wenn die Voraussetzungen vorliegen, muss das Gericht jedoch Ratenzahlungen anordnen, mit denen das Darlehen zurückzuzahlen ist. Neuerdings gibt es auch Rechtsschutzversicherungen, die die Scheidungskosten für beide Ehepartner übernehmen. 

Wer sich mit Ihrem Urteil nicht abfinden will, dem stehen welche Möglichkeiten offen?

Berufung einlegen. Dann entscheidet das Oberlandesgericht.

Taucht nicht versteuertes Geld während des Verfahrens auf, muss es auch mit einbezogen werden?

Der Vortrag der Steuerhinterziehung kommt wegen der nachteiligen Auswirkungen im Unterhaltsprozess kaum vor.

Und jetzt die Kardinalsfrage für all diejenigen Männer, die ihren Frauen den Anspruch auf Zugewinnausgleich verwehren wollen: Was muss da im Vorfeld stattgefunden haben?

Der Versuch, kurz vor der Scheidung Vermögen beiseite zu schaffen, bleibt meist erfolglos, da solche zweckgerichteten Vermögensminderungen vom Gericht so behandelt werden, als sei das Vermögen noch vorhanden. Wer den Zugewinnausgleich ausschließen will, muss rechtzeitig durch notariellen Ehevertrag Gütertrennung vereinbaren oder bestimmte Werte vom Zugewinnausgleich ausklammern.

Welche Folgen zieht ein Racheakt nach sich, beispielsweise eine Anzeige wegen Steuerhinterziehung?

Das Verfahren wird an die Staatsanwaltschaft zur Sachaufklärung abgegeben. Die etwaige fällige Steuernachzahlung wirkt sich sowohl bei den Unterhaltsansprüchen als auch bei der Vermögensauseinandersetzung anspruchsmindernd aus. Nach der Rechtsprechung des BGH kann eine derartige Anzeige auch zu einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führen. 

Kann ein per Ehevertrag ausgehandelter Unterhaltsverzicht sittenwidrig sein?

Ja, bei einer Ungleichgewichtslage und bei erkennbar einseitiger Lastenverteilung, etwa wenn eine schwangere Frau auf Ehegatten- und Kindesunterhalt verzichtet, aber auch wenn klar abzusehen ist, dass der verzichtende Partner der Sozialhilfe anheim fallen wird. 

Wenn beide Partner während des Trennungsjahres herausfinden, dass Sie weiterhin zusammen bleiben wollen?

Der Scheidungsantrag kann jederzeit zurückgenommen werden.

Unterbricht Sex mit dem Ex das Trennungsjahr?

Nur eine dauerhafte Versöhnung unterbricht das Trennungsjahr. In der Regel geht man bei einem Versöhnungsversuch, der länger als drei Monate andauert von einer dauerhaften Versöhnung aus.

Ihre Frau ist eine anerkannt gute Fachanwältin für Familienrecht, beide haben sie also tagtäglich mit diesem Thema zu tun. Stumpft man da nicht ab?

Nein.

Was hat sich mit der Entscheidung des BGH auf dem Gebiet der ehelichen Lebensverhältnisse beim Ehegattenunterhalt geändert?

Im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung zu den ehelichen Lebensverhältnissen bei Haushaltsführung mit oder ohne Kinderbetreuung, wird auch bei einer Aufnahme oder Ausweitung einer Erwerbstätigkeit erst nach der Trennung oder Scheidung das daraus erzielte Einkommen als eheprägend und zwar als Surrogat der früheren Kinderbetreuung und Haushaltsführung angesehen.

Verbessert sich hierdurch der Unterhaltsanspruch des haushaltsführenden Ehegatten?

Ja. Anders als früher wird nunmehr das Einkommen beider Ehegatten zusammengerechnet, auch wenn das Einkommen der Ehefrau erst nach der Trennung oder Scheidung erzielt wird. Aus dem zusammengerechneten Einkommen wird der Unterhaltsbedarf bestimmt. Dies hat zur Folge, daß die Frau in der Regel einen höheren Unterhaltsanspruch hat als bisher. Nach der früheren Rechtsprechung ist der Unterhaltsanspruch der Frau häufig weggefallen, wenn sie nach der Scheidung eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat. 

Bedeutet das, die Hausarbeit die eine Frau leistet, ist immer so viel wert wie der Beruf ihres Mannes? Wie soll die Haushaltstätigkeit monetarisiert werden?

Nein. In den Fällen, in denen der unterhaltsberechtigte Ehegatte nach der Ehescheidung ein Einkommen erzielt oder erzielen kann, ist dieses gleichsam als Surrogat des wirtschaftlichen Wertes seiner bisherigen Familienarbeit anzusehen. Der Wert der Haushaltsleistung spiegelt sich in dem erzielten oder erzielbaren Einkommen wider.

Und wenn einer der Partner fleißig an seiner Karriere gearbeitet und der andere gefaulenzt hat?

Ob der Wert der Haushaltstätigkeit vom Fleiß der Hausfrau abhängt ist noch nicht höchst richterlich entschieden. 

Wie stellt sich die Sachlage dar, wenn die geschiedene Hausfrau gar kein Einkommen erzielt?

Solange ein Einkommen nicht erzielt wird und auch nicht erzielt werden kann, also keine Erwerbsobliegenheitsverletzung vorliegt, wird für die frühere Haushaltstätigkeit kein Wert angesetzt. Der Unterhalt berechnet sich dann nur aus dem Einkommen des Mannes.

Ihr Lebenslauf in Stichpunkten.

Geboren 1951 und aufgewachsen auf dem elterlichen Bauernhof in Fridolfing. Gymnasium und Abitur am Chiemgau Gymnasium in Traunstein und im dortigen erzbischöflichen Studienseminar. Nach der Bundeswehr Studium der Rechtswissenschaften, Promotion und beide juristischen Staatsprüfungen in München. Drei Jahre Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Traunstein, seit 1981 Familienrichter in Altötting. Verheiratet, ein Kind.

Ihre Hobbys?

Ungewöhnliche Menschen. Bücher schreiben und lesen.

Wie viele Bücher haben Sie geschrieben?

Wenn man die verschiedenen Auflagen einzeln zählt, an die 50.

Was lesen Sie gerade?

Der Mensch zwischen Harmonie und Chaos.

Ihr Lebensmotto?

Nur wirklich Wichtiges wichtig nehmen!

Dr. Heiß, besten Dank für dieses Interview.

     
 © 2012 RALF HANSEN STADTBROSCHÜRENVERLAG